STAA/RT 21
Start in den Staat des 21. Jahrhunderts
Für einen neuen Generationenvertrag
1998: Zwei Jubiläen, aber auch ein Grund zum
Feiern?
Allerorten führt die gängige Politik zu einer
schleichenden Aufkündigung der Generationenverträge,
die es zwar in schriftlicher Form nicht gibt, die aber dennoch
bislang einen Grundkonsens unserer Gesellschaft darstellten:
Die sozialen Sicherungssysteme sind in der Krise. Die Arbeitslosigkeit
steigt auf immer neue Rekordmarken; immer mehr Jugendliche
finden nicht einmal mehr einen Ausbildungsplatz. Hochschulen
zerfallen innen wie außen. Die Globalisierung der Wirtschaft
überrollt die Politik. Jede Sekunde nimmt der Staat bei
unserer Generation und den folgenden über 3.000 Mark
mehr Kredit auf. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern
fällt angesichts dieser 'harten' Themen ganz unter den
Tisch. Auch der Erhalt der Umwelt für spätere Generationen
droht von der Tagesordnung zu verschwinden.
Vor diesem Hintergrund stehen 1998 bei der Bundestagswahl
zwei Politikergenerationen im Mittelpunkt: der dann 68jährige
Kohl und die 68er von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Unsere Generation muß verdeutlichen, daß es 1998
um mehr geht als die übliche ritualisierte Wahlkampfschlacht.
Die Bundestagswahl entscheidet über die Zukunftschancen
unserer Generation. Es geht um nichts Geringeres als die Formulierung
eines neuen Generationenvertrags, um den Start in den Staat
des 21. Jahrhunderts.
Der 68jährige
Die Politik des 68jährigen hat inzwischen mehr mit
Ritualen zu tun als mit der Realität im Lande. Obwohl
jede Neujahrsansprache des Kanzlers von tiefer Sorge über
die Arbeitslosigkeit geprägt war und er jedes Jahr wieder
Besserung gelobte, sind mit jedem Tag der Kanzlerschaft Helmut
Kohls 500 Arbeitslose hinzugekommen. Angesichts dieser Zahlen
tröstet es uns wenig, daß die "besondere Sorge"
des Bundeskanzlers der Jugendarbeitslosigkeit gilt.
Der Anteil der Löhne am Gesamteinkommen sinkt stetig
- und zugleich wird genau dieses Einkommenssegment mit immer
neuen Steuern und Abgaben belastet. Zentraler Glaubenssatz
des 68jährigen ist: Wenn ich Spitzenverdiener steuerlich
entlaste, nehmen diese das Geld und schaffen damit Arbeitsplätze.
Doch Kohls Bürger verhalten sich anders als erwünscht:
Sie legen ihr Geld lieber im Ausland an oder geben es in die
Hände der Banken, die auch nicht anders damit verfahren.
Der zweite Glaubenssatz, daß neue Arbeitsplätze
in Deutschland mehr Beitragszahlende bedeuten und damit zu
einer Entlastung des Gesundheitswesens und der Rentenkasse
führen, kann somit schon nicht mehr erfüllt werden.
Die Arbeitsplätze fehlen, und der daraus folgende Teufelskreis
ist angesichts von über vier Millionen Arbeitslosen am
Ende der Amtszeit Kohls durch nichts mehr zu überdecken.
Immer weniger Beschäftigte zahlen immer höhere Beiträge
in die Sozialversicherungen. Angesichts der Beitragssteigerungen
lohnen sich Rationalisierung und Jobabbau, was die Arbeit
der wenigen noch teuerer macht. Neue Beschäftigungsfelder
für BerufseinsteigerInnen werden so nicht erschlossen.
Es ist diese Bundesregierung, die die höchsten Lohnnebenkosten
in dieser Republik zu verantworten hat und gleichzeitig eben
diesen Zustand beklagt: Die Bundesregierung klagt über
sich selbst.
Und wie sehen nun die Notlösungen des 68jährigen
aus? Lohnnebenkosten sollen durch Sozialabbau gesenkt werden.
Der Versuch, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zusammenzustreichen,
ist allerdings an der Solidarität der Beschäftigten
gescheitert, denen klar ist, daß jedeR mal krank werden
kann. An anderer Stelle zeigt die Politik der Regierung Kohl
jedoch Wirkung: Tausenden wird ihr Job im Gesundheitswesen
weggekürzt. In den Neuen Ländern werden die meisten
Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen selbst diesen
Strohhalm verlieren. Besonders Frauen werden davon betroffen
sein.
Frauen sind schon jetzt in den Neuen Ländern überdurchschnittlich
häufig arbeitslos. Angesichts der Krise auf dem Arbeitsmarkt
ist die Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben für den 68jährigen
kein Thema mehr. Das Ideal der treusorgenden Hausfrau wird
aus der gesellschaftlichen Mottenkiste hervorgekramt. Es wird
der Versuch gestartet, Frauen in veraltete Rollenklischees
zurückzudrängen.
Die 68er
Die 68er haben die Republik schon einmal verändert:
Die Bewegung von 1968 brachte einen Wertewandel und eine Demokratisierung.
Es wurden Freiheiten erstritten, die heute selbstverständlich
für die Bundesrepublik sind; das Monopol der Ehe wurde
durch die Vielfalt der Lebensformen ersetzt. Der Autoritätshörigkeit
steht inzwischen eine lebendige Diskussionskultur gegenüber.
Jetzt befinden sich die 68er auf einem Highway durch die
Institutionen. Sie wuchsen mit dem Wirtschaftswunder auf und
genossen eine bessere Ausbildung als jede Generation davor.
In den Jahren nach 1970 konnten sich UniversitätsabsolventInnen
zwischen drei und mehr Jobs entscheiden (vor allem im öffentlichen
Dienst). Wenn die Generation der 68er in den Ruhestand geht,
wird die dadurch entstehende Belastung der Pensionskassen
einer der Hauptgründe dafür sein, daß Jüngeren
die Auffahrt auf diesen Highway versperrt wird. Zugleich werden
die 68er in den nächsten Jahren die eigentlichen Profiteure
einer Erbschaftswelle in Deutschland sein, sie stellen vermutlich
den Höhepunkt der Wohlstandsentwicklung in Deutschland
dar.
Soviel Erfolg macht satt; viele haben ihren Frieden mit
dem System gemacht. Wir befürchten, daß die 68er
ihr Jubiläum zum Anlaß nehmen, sich selbst die
Geschichten ihrer Revolte zu erzählen, anstatt den Fahrplan
für den Regierungswechsel 1998 und für eine neue
Politik in Deutschland zu entwerfen.
Politisch sind sich die 68er unschlüssig. "Globalisierung
gibt es nicht", sagen die einen, "gegen die Globalisierung
helfen internationale Übereinkommen und festgeschriebene
Sozialstandards", meinen andere. Verantwortungslos handeln
diejenigen, die glauben, der Weg zur Macht führe über
die Verneinung der Probleme, eine einfache Schuldzuweisung
in Richtung Kohl und die Beruhigung der verunsicherten Bevölkerung.
Auf der einen Seite wird das Modell einer ökologisierten
Bundesrepublik eingefordert. Andererseits wird jede Änderung
an den sozialen Sicherungssystemen als Sozialstaatsdemontage
gegeißelt. Beides paßt nicht zusammen. Bereits
1972 wies der Club of Rome, der übrigens ebenfalls 1968
gegründet wurde, in "Die Grenzen des Wachstums"
darauf hin, daß eine ökologische Entwicklung nur
durch eine Abkehr vom permanenten quantitativen Wirtschaftswachstum
erreicht werden kann. Die bisherige Sozialpolitik ist jedoch
auf ständiges Wachstum angewiesen. Dieser Zielkonflikt
wird von vielen 68ern schlicht ignoriert.
Ach ja, die 68er haben noch etwas im Angebot: ihre Ratschläge
an die heutige Jugend. Manche empfehlen uns, auf die Probleme
von heute mit den Mitteln von damals zu reagieren: "Seid
revolutionär" oder "sprengt Grenzen" heißt
es da. Leider haben viele 68er nicht begriffen, daß
die Jugend von heute nicht dazu da ist, ihre revolutionären
Träume von gestern zu verwirklichen. Wenn diese mittlerweile
verbeamteten Revoluzzer glauben, mit Demonstrationen, Appellen
und Resolutionen könne die Zukunft der Jugend gerettet
werden, sind sie herzlich dazu aufgefordert, ihren Worten
Taten folgen zu lassen.
Fazit: 68jähriger minus 68er gleich null?
Wenn in Bonn der 68jährige und die 68er aufeinandertreffen,
werden die Debatten der 80iger Jahre geführt. Das Schema
ist bekannt: Lobbygruppe A stellt eine Forderung auf, die
Bundesregierung begrüßt den Vorschlag als wichtigen
Beitrag zur Stärkung des Standorts Deutschland, Lobbygruppe
B ist empört über Lobbygruppe A und über die
Bundesregierung sowieso - jetzt wacht auch die SPD auf und
geißelt die Forderung als Verrat an den in über
100jährigem Kampf erstrittenen Errungenschaften der Sozialdemokratie.
Am Ende passiert natürlich nichts.
Die Inszenierungen sind hinreichend bekannt und schon so
oft wiederholt, daß sie selbst in den Dritten Programmen
keinen Sendeplatz mehr haben dürften. Wir haben diese
Politikrituale satt. Angesichts von wachsenden Problemen und
sinkender Lösungskompetenz der Politik stellt sich die
Frage, was die Parteien eigentlich den ganzen Tag über
in Bonn so treiben.
Das alles wäre halb so schlimm, würden wir noch
in den 80iger Jahren leben. Zwei Millionen Arbeitslose waren
1982 für die CDU noch Anlaß genug, den Rücktritt
des Bundeskanzlers zu fordern, und PolitikerInnen gingen mit
der Subventionsgießkanne übers Land, um auch der
letzten Lobbygruppe ihre Wünsche zu erfüllen.
Das geistig-moralische Ende
Spätestens seit 1989 gibt es nichts mehr zu verteilen.
1989 nicht als tiefgreifenden Einschnitt für die Politik
zu begreifen, leitete das geistig-moralische Ende des 68jährigen
ein. Den Mantel der Geschichte trug der Kanzler zwar stolz,
daß die Taschen aber nicht mehr voller Geld, sondern
voller Löcher waren, verschwieg er. Die Notwendigkeit,
den Umbruch von 1989 zu einem umfassenden Modernisierungsschub
für die gesamte Bundesrepublik zu nutzen, sah der 68jährige
im Rausch der Geschichte nicht.
Die Entwicklung seither in den Neuen Ländern zeichnet
vor, was in den alten Ländern in den nächsten Jahren
passieren könnte. Im Osten hat man sich schon längst
von Besitzständen verabschiedet bzw. diese sich erst
gar nicht etablieren lassen, an denen im Westen noch krampfhaft
festgehalten wird. Im Ruhrgebiet halten die politischen Akteure
an Kohlesubventionen fest, die den Kumpeln in der Lausitz
in diesem Umfang nie zugestanden wurden. Im Westen wird über
den Umbau der Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft
diskutiert, in Ostdeutschland gibt es durch den Zusammenbruch
der Industrieproduktion dazu keine Alternative.
Der Bevölkerung wurde 1989 kein reiner Wein über
die Folgen der Globalisierung eingeschenkt. Der 68jährige
versuchte ihr weis zumachen, daß auch in zehn Jahren
noch eine heile Arbeitswelt in Deutschland herrsche - hätte
er damals anders gehandelt (statt verharmlost und verschönt),
wäre der Republik so manche Standortdebatte erspart geblieben.
Was die Wirtschaft in Ostdeutschland durchgemacht hat, wird
immer noch als Ausnahmesituation hingestellt, statt die Lage
als anspruchsvolle, schwierige Gegenwart und Zukunft des vereinigten
Deutschlands zu erkennen und zu akzeptieren.
Von der Lobby- in die Teilhabegesellschaft
Wir brauchen eine neue Politik. Eine neue Politik, die sich
nicht nur auf Rituale beschränkt. Eine neue Politik,
die die Lasten nicht wie bisher vor allem auf die ArbeitnehmerInnen
und die junge Generation verteilt: Wir brauchen den Übergang
von der Lobby- in die Teilhabegesellschaft. Unsere Vorstellung
der Teilhabegesellschaft hat allerdings mit der FDP Politik
für Teilhaber nichts zu tun. Bei der Pünktchenpartei
müssen viele teilen, damit wenige haben. Wir sind für
eine Gesellschaft, in der jedeR seinen Platz hat, keineR ausgegrenzt
wird und Politik so vielfältig ist wie die Lebensentwürfe
der Menschen. Politik hat dafür zu sorgen, daß
das Individuum nicht nur Teil ist, sondern auch teilhat. Uns
ist bewußt, daß auf uns jüngere Menschen
große Belastungen zukommen. Wir müssen die erworbenen
Besitzstände der Generationen vor uns finanzieren und
gleichzeitig akzeptieren, daß wir selbst niemals in
den Genuß der selben Besitzstände kommen werden.
Wir sind bereit, unseren Beitrag zu einem neuen Generationenvertrag
zu leisten.
Die 68er zum Jagen tragen oder erst ein teach-in übers
Jagen machen?
Den 68ern kommt beim Start in den Staat des 21. Jahrhunderts
eine Schlüsselfunktion zu, dazu müssen sie aber
aus ihrer Behaglichkeit erwachen und ihre Chance als solche
begreifen und nutzen. Mit den Geschichten und Konzepten von
damals ist heute kein Staat mehr zu machen. Vielmehr müssen
sich die 68er auf ihre Stärken besinnen: Der Erfolg von
1968 bestand darin, Bestehendes in Frage zu stellen, Unmut
über den Zustand der Gesellschaft zu erzeugen und diesen
in Reformen umzusetzen. Ihnen ist es gelungen, gesellschaftliche
Verkrustungen aufzubrechen. Damals haben die 68er die Gesellschaft
weiterentwickelt.
Dagegen trifft heute eine innovationsbereite Gesellschaft
auf verkrustete Strukturen in der Politik. Der Unterschied
zwischen gesellschaftlicher Realität und politischem
Handeln wird immer größer. Die Anstöße
für den Wandel von der Lobby- in die Teilhabegesellschaft
kommen aus der Gesellschaft und nicht von der Politik. Das
reicht vom Bündnis für Arbeit der IG Metall über
die Einführung der 4-Tage-Woche bei VW und hört
bei der Tatsache, daß es zehnmal mehr junge BewerberInnen
auf, als Plätze für ein Freiwilliges Soziales Jahr
gibt, noch lange nicht auf.
1998 müssen die 68er die gesellschaftliche Realität
einholen. Es wird wieder darauf ankommen, neue Wege zu gehen,
Bestehendes in Frage zu stellen und konkrete Konzepte für
den Wandel von der Lobby- zur Teilhabegesellschaft vorzulegen.
Wir wollen hierzu einen Beitrag leisten.
1. Mehr und weniger arbeiten
Die Teilhabe an der Gesellschaft wird materiell wie ideell
durch die Teilhabe am Arbeitsmarkt bestimmt. Auch hier gilt
es, sich von den Ritualen der Vergangenheit zu befreien.
Das erste Ritual ist die Beschwörung der Vollbeschäftigung.
Obwohl unsere Generation sich nicht mehr an eine Zeit mit
weniger als zwei Millionen Arbeitslosen erinnern kann, wird
immer noch der Eindruck erweckt, es handele sich um ein vorübergehendes
Problem. Die Wahrheit ist: Es wird auf absehbare Zeit weiterhin
einen großen Anteil von Arbeitslosen in unserer Gesellschaft
geben. Immer mehr Frauen fordern zu Recht ihre Teilhabe an
der Arbeitswelt ein und vergrößern damit das Angebot
an Arbeitskräften. Zudem läßt sich das gleiche
Produktionsniveau von Jahr zu Jahr mit immer weniger ArbeiternehmerInnen
realisieren.
Immer mehr Menschen werden im Laufe ihres Lebens zeitweise
keinen Job haben. Sie sind nicht arbeitslos, weil sie nicht
arbeiten wollen, sondern weil sie nicht arbeiten dürfen.
Auch ihnen muß die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht
werden. Wir brauchen einen neuen Arbeitsbegriff, der nicht
zwischen bezahlter und belächelter Arbeit unterscheidet.
Ehrenamtliche Tätigkeit, Hausarbeit, Kindererziehung
und soziales Engagement sind gesellschaftlich genauso wertvoll
wie Erwerbsarbeit.
Das zweite Ritual sind die vermeintlichen Patentrezepte.
'Arbeitszeitverkürzung ist das Allheilmittel', sagen
die einen, 'der Standort Deutschland kann nur gerettet werden,
wenn wieder mehr gearbeitet wird', die anderen.
Ein sich in bislang ungekannter Geschwindigkeit wandelnder
Arbeitsmarkt erfordert aber nicht ein Entweder-Oder, sondern
beides. Wir brauchen mehr und weniger Arbeit. Weniger Arbeit
durch Teilzeit in großen Unternehmen und der öffentlichen
Verwaltung, wo sich nicht nur standardisierte Arbeitsabläufe
relativ problemlos auf mehr ArbeitnehmerInnen verteilen lassen.
Mehr Arbeit bei ExistenzgründerInnen, die ohne hohen
persönlichen Einsatz ihrerseits und Seitens ihrer MitarbeiterInnen
keine Chance haben, ihren Platz in der globalisierten Wirtschaft
zu finden.
Selbständigkeit als Weg zu mehr Beschäftigung
In der Teilhabegesellschaft kommt den ExistenzgründerInnen
eine Schlüsselfunktion zu. Nach einer OECD-Studie gibt
es in Deutschland 1,5 Millionen Selbständige weniger
als im Vergleich zu anderen Industrieländern. Jede Existenzgründung
schafft, wenn sie erfolgreich ist, durchschnittlich vier zusätzliche
Jobs. Hier liegt ein Potential, das einen spürbaren Beitrag
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten kann. Es
gilt, eine neue Gründungswelle in Deutschland zu initiieren.
Um diesen Aufbruch zu ermöglichen, muß es in Deutschland,
wie in anderen Ländern üblich, einen Markt für
Risiko- und Wagniskapital geben. Die Eigeninitiative und Kreativität
von FirmengründerInnen darf nicht an den risikoscheuen
deutschen Banken und Sparkassen scheitern. Sie darf aber auch
nicht durch starre Arbeitszeitregelungen erdrückt werden.
Eine Firma läßt sich nicht in einer 38,5 Stundenwoche
aufbauen. Die UnternehmerInnen - aber auch die ArbeitnehmerInnen
in diesen Betrieben - müssen mehr arbeiten (dürfen).
Das kann aber kein einseitiges Geschäft auf Kosten der
Beschäftigten sein. Wer als ArbeitnehmerIn wie einE UnternehmerIn
arbeitet, muß auch UnternehmerIn sein, d.h. er oder
sie muß teilhaben an der Firma und ihrem Gewinn.
Die Teilhabegesellschaft braucht also auf den jeweiligen
Betrieb abgestimmte Arbeitszeitmodelle. Die Gewerkschaften
haben das Potential, dabei Motor der Entwicklung zu sein.
Ihnen kommt die entscheidende Aufgabe zu, noch stärker
als bisher die Betriebsräte vor Ort zu beraten und in
den Verhandlungen mit den ArbeitgeberInnen zu unterstützen.
Zu welchen positiven Ergebnisse für beide Seiten eine
solche neue, auf die betrieblichen Verhältnisse abgestimmte
Tarifpolitik führt, zeigt die Einführung der Altersteilzeit
bei Volkswagen.
Das dritte und letzte Ritual ist der Glaube, die Politik
allein könne mehr Beschäftigung schaffen. Sie kann
jedoch nur den Rahmen vorgeben, positive Entwicklungen fördern
und versuchen, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Sie muß
Anreize für mehr Teilzeitarbeit in großen Unternehmen
und der öffentlichen Verwaltung schaffen und gemeinsam
mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten darauf achten,
daß die ArbeitnehmerInnen nicht zu VerliererInnen der
Globalisierung werden.
2. Bildung: Das Mega-Thema der Zukunft
Der Stellenwert von Bildung und Qualifikation wächst
enorm. Während 1985 nur etwa 28% aller
Beschäftigungsverhältnisse von Höherqualifizierten eingenommen
wurden, werden es im Jahre 2010 über 40% sein. Die Teilhabe an der
Gesellschaft wird in immer stärkerem Maße durch Bildung
beeinflußt werden.
Drei Herausforderungen markieren die Aufgaben einer Bildungsreform
auf Bundesebene: Die Krise des Dualen Berufsausbildungssystems,
die Krise an den deutschen Hochschulen und die fehlende Umsetzung
der Forderung nach lebenslangem Lernen.
"Ja" - aber zum Dualen Berufsbildungssystem
Für viele Tätigkeitsfelder hat sich das Duale
Berufsbildungssystem bewährt. Es bereitet die Auszubildenden
auf ihre praktische Tätigkeit in einem Betrieb vor und
gibt ihnen gleichzeitig das theoretische Rüstzeug mit,
um sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Es verbindet das
Interesse der Unternehmer an für bestimmte Aufgaben qualifizierte
MitarbeiterInnen, mit dem Interesse der ArbeitnehmerInnen,
vielfältige Fähigkeiten zu erlernen.
Zwei Entwicklungen führen jedoch zur Krise der Dualen
Berufsausbildung. Die erste Entwicklung resultiert aus den
Nachwirkungen der Rationalisierungswellen. Es liegt auf der
Hand, daß Firmen sich weigern, FacharbeiterInnen auszubilden,
deren Jobs längst der Rationalisierung zum Opfergefallen
sind. Gleichzeitig bringt der Strukturwandel von der Industrie-
zur Dienstleistungsgesellschaft andere Tätigkeitsfelder
hervor. Diesem Strukturwandel wird das Duale Bildungssystem
immer hinterherlaufen: Erstens kann es sich nicht so schnell
anpassen, wie sich der Arbeitsmarkt verändert, und zweitens
erfordern die neuen anspruchsvollen Tätigkeitsfelder
- genau wie die Jobs, die infolge einer neuen Gründerwelle
entstehen - universelle Qualifikationen, die besser an einer
Universität erworben werden können.
An die Stelle klassischer Lehre tritt bei diesen Jobs eine
Hochschulausbildung. Sie muß jedoch auf die in den neuen
Jobs geforderte Flexibilität abgestimmt sein. Auch die
neueste Studie des Münchner IFO-Instituts zur Lage des
deutschen Arbeitsmarktes diagnostiziert, daß das Duale
Berufsausbildungssystem durch seine Ausrichtung auf ein eng
definiertes Beschäftigungsfeld die Entwicklung neuer
Beschäftigungsstrukturen hemmt. Dies sei mit den Ansprüchen,
die an ein lebenslanges Lernen in der Wissensgesellschaft
gestellt werden, nicht vereinbar.
Gelingt es nicht, den Teil eines Altersjahrgangs, der heute
noch den Wunsch, in die Lehre zu gehen, zugleich aber das
Potential hat, die neuen qualifizierten Jobs auszufüllen,
für diese neuen Tätigkeiten zu begeistern, wird
sich der gnadenlose Verdrängungswettbewerb noch beschleunigen.
Die Folge: AbiturientInnen verdrängen RealschülerInnen
und RealschülerInnen HauptschülerInnen. Der Lehrstellenmarkt
wird dann dauerhaft allen unzureichende Angebote machen und
vor allem in der Gruppe von jungen Männern mit geringerer
Schulbildung reihenweise Verlierer produzieren, mit unabsehbaren
gesellschaftlichen Folgen.
Die zweite Entwicklung ist die, daß Ausbildung immer
mehr als reiner Kostenfaktor angesehen wird. Dies kann nur
durch eine bessere Verteilung der Kosten der Ausbildung auf
alle Unternehmen gebremst werden. Die Last der Ausbildung
tragen vor allem kleine und mittlere Betriebe, die zukünftig
für ihre Leistung zu entlasten sind. Im Rahmen eines
Umlagesystems, das regionale und branchenspezifische Komponenten
berücksichtigt, sollen die Betriebe über ihre Kammern
zunächst selbst versuchen, die Ausbildungsplatzversorgung
sicherzustellen. Betriebe, die für die Branche zuwenig
ausbilden, sollen die Betriebe entlasten, die mehr ausbilden.
Nur wenn die Betriebe es innerhalb von zwei Jahren nicht schaffen,
das Umlagesystem selbst zu organisieren, sollte es staatlich
geregelt werden.
Universität als Ort der Fort- und Weiterentwicklung
des Individuums und der Gesellschaft
Die Reform der Hochschulen muß ebenfalls zu einem
Kernstück der Bildungsreform werden. Von der Hochschulreform
der 70er Jahre sind in vielen deutschen Hochschulstädten
nur noch Reformruinen übriggeblieben. Die Universität
muß wieder zum Ort der Fort- und Weiterentwicklung des
Individuums und der Gesellschaft werden. Das Bildungsangebot
einer solchen reformierten Hochschule basiert auf drei Säulen.
Die erste Säule stellt die klassische Vorbereitung auf
eine akademische Laufbahn in den Mittelpunkt der Ausbildung.
Diesen Weg beschreitet jedoch ein immer geringerer Prozentsatz
der Studierenden. Für die meisten geht es darum, sich
durch das Studium für das Erwerbsleben zu qualifizieren.
Daher müssen Lehrveranstaltungen mit stärkerem Praxisbezug
die zweite Säule bilden. Nur so ist es möglich,
die oben beschriebene Lücke, die das Duale Bildungssystem
bezüglich der hochqualifizierten Jobs läßt,
zu schließen. Die dritte Säule ist das lebenslange
Lernen. Hochschulen müssen neue Bildungsangebote entwickeln,
die sich speziell an Menschen im Erwerbsleben richten. Das
einmal in der Universität Gelernte reicht nicht mehr
aus, um damit ein ganze Arbeitsleben bestreiten zu können.
Fort- und Weiterbildung wird zu einem immer wichtigeren Teil
des Erwerbslebens. Dieser Bereich kann und darf nicht allein
kommerziellen Anbietern überlassen werden.
Zu den Ritualen der Bildungsdebatte in den letzten Jahren
gehört es, zu sagen, daß für die erste Säule
die Universität, für die zweite die Fachhochschulen
und für die dritte bestenfalls die Volkshochschulen zuständig
sind. Muß in dieser Republik wirklich für jede
staatliche Aufgabe ein eigenes Gebäude, eine eigene Verwaltung
und natürlich eine eigene Abteilung in einem Ministerium
geschaffen werden? Wäre es nicht viel sinnvoller, zusammenzuführen,
was zusammengehört?
Geld gegen Reformen
Um diesen Anspruch zu erfüllen, soll den Hochschulen
mehr Eigenverantwortung übertragen werden. Die Zuständigkeit
für Personal und eine weitgehende Finanzautonomie sind
Schlüsselreformen, an deren Ende eine vielfältige
Hochschullandschaft in Deutschland steht. Neue Ideen und Konzepte
können so die bestehenden Verkrustungen aufbrechen und
Fehlentwicklungen rückgängig machen.
Mit der Einführung der Direktwahl der Hochschulleitung
durch alle Hochschulmitglieder wird ein neuer Impuls für
mehr Demokratie und Mitbestimmung erzeugt. Ein bundesweites
Verbot der Einführung von Studiengebühren schiebt
der drohenden Spaltung der Hochschullandschaft in Deutschland
einen Riegel vor.
In den nächsten zehn Jahren werden die Hälfte
aller Stellen an den Universitäten frei. Diese Chance,
den Anteil von Frauen in der Wissenschaft erheblich zu steigern,
darf keinesfalls verpaßt werden. Gleichzeitig wird eine
radikale Personalreform möglich. Teilzeitprofessuren
mit 80% der bisherigen Arbeitszeit und des bisherigen Gehalts
sollten zur Regel, ProfessorInnen nicht mehr verbeamtet, sondern
nur noch auf Zeit in Abhängigkeit von ihrer Leistung
ernannt und Leistungszulagen für gute ProfessorInnen
eingeführt werden.
Die Politik sollte den Hochschulen ein Angebot machen: Geld
gegen Reformen. Nur Hochschulen, die neue Ideen entwickeln,
erhalten zusätzliche Mittel. Denn eines ist klar: eine
Hochschulreform nur durch mehr staatliche Mittel wird genauso
scheitern wie Veränderungen ohne diese. Dem klaren Bekenntnis
der Politik zu einer besseren Finanzierung muß der Reformwille
der Hochschulen gegenüberstehen.
BAFF statt BAFöG
Aber nicht nur die Uni, auch die Studierenden brauchen Geld,
um ihr Studium zu finanzieren. Das jetzige BAFöG ist
zur Verbesserung der Chancengleichheit beim Zugang zur höheren
Bildung ungeeignet. Wir setzen den Bundesausbildungsförderungsfonds
(BAFF) dagegen. Der BAFF gewährt allen Studierenden eine
elternunabhängige Ausbildungsförderung von bis zu
1050 Mark pro Monat. Studierende können im Rahmen des
BAFF frei entscheiden, ob sie die vollen 1050 Mark, gar nichts
oder einen Teil davon in Anspruch nehmen. Das Jobben neben
der Universität, um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren,
gehört damit der Vergangenheit an.
Wer Geld aus dem Fonds erhält, muß nach dem Studium
Beiträge entrichten. Ihre Höhe hängt einerseits
davon ab, wieviel Geld während des Studiums aus dem Fonds
entnommen wurde, andererseits aber auch vom erreichten Verdienst
nach dem Studium. Für ein 10 Semester langes Studium
mit Vollförderung ergibt sich ein Betrag unter drei Prozent
des Bruttolohns. Dieses Reformwerk wird den Staat langfristig
erheblich von Kosten entlasten.
3. Die Renten sind sicher - wie Blüms Versprechen
noch zu halten ist.
Was haben junge Menschen mit der Rente zu tun? Ganz einfach:
Wir bezahlen sie! Nicht nur weil wir es müssen, sondern
auch weil wir der Meinung sind, daß soziale Gerechtigkeit
nicht mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben enden darf.
Auch ältere Menschen haben ein Recht auf Teilhabe an
dieser Gesellschaft. Wir halten an dem bestehenden Generationenvertrag
zwischen Alt und Jung fest. Allerdings müssen Teile des
Vertrages neu geschrieben werden.
Ja zum Generationenfonds, nein zur Grundrente
Um den Anstieg der Ausgaben in den nächsten Jahren
auffangen zu können, muß eine vorausschauende Politik
schon jetzt Rücklagen für die Zukunft schaffen.
Daher sprechen wir uns für die Einrichtung eines Generationenfonds
aus, der jährlich aus Steuermitteln aufgebaut wird. Ein
Grundrentenmodell lehnen wir ab. Es wäre in den nächsten
50 Jahren mit einer enormen Doppelbelastung für unsere
Generation verbunden. Am Ende wären nur die wenigen absoluten
Spitzenverdiener in der Lage, durch zusätzliche Vorsorge
der Altersarmut zu entgehen.
Der jungen Generation ein faires Angebot machen
Ein Fonds ermöglicht die Teilhabe von beiden Generationen:
Ab 2020 sorgt er dafür, daß RentnerInnen auch weiterhin
in Würde alt werden können. Bis dahin kann ein Teil
der Rendite des Fonds als Darlehen für unterkapitalisierte
Existenzgründungen dienen und damit den entscheidenden
Anstoß für eine neue Gründungswelle geben.
Der Generationenfonds wird somit zum Kernstück des neuen
Generationenvertrags. Die in vielen Familien gelebte Solidarität
zwischen Jung und Alt wird zum Modell für die Teilhabegesellschaft.
Der andere Teil des Generationenfonds sollte an den Finanz-
und Aktienmärkten vermehrt werden. Dabei ist auf eine
risikoarme und breite Streuung bei der Anlage zu achten, um
Verluste zu vermeiden. Durch die Beteiligung an Aktiengesellschaften
haben Staat und Bürger teil an den Zuwächsen der
Wirtschaft. Die satten Globalisierungsgewinne der Unternehmen,
die zum Teil zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme gehen,
werden so genutzt, um die Renten unserer Generation mitzufinanzieren.
Rentenniveau senken, Altersarmut verhindern
Die veränderte Situation auf dem Arbeitsmarkt wirkt
sich auch auf die Rentenversicherung aus. Unterbrechungsfreie
Erwerbstätigkeit und damit Beitragszahlung werden zur
Ausnahme werden. Erziehungs-, Hausarbeits-, Teilzeit- und
Weiterbildungsphasen sowie Zeiten der Erwerbslosigkeit müssen
bei der Berechnung der Rente miteinbezogen werden, um eine
Ausbreitung von Altersarmut zu vermeiden. Zur Finanzierung
der neuen Beitragszeiten ist eine stärkere Umverteilung
innerhalb des Rentensystems nötig. Am Ende der Ära
der Vollzeitbeschäftigung haben Menschen, die ihr Leben
lang beruflich erfolgreich waren, einen Vorteil, der es rechtfertigt,
bei der Bemessung ihrer Rente Abstriche zu machen. Der bisherige
Generationenvertrag, ergänzt durch den Generationenfonds
und die Solidarität der älteren Menschen untereinander,
ermöglicht die Teilhabe der Älteren an der Gesellschaft,
ohne dabei die Teilhabe der Jüngeren durch eine zu starke
Doppelbelastung unmöglich zu machen.
4. Balanced Budget: Den Haushalt wieder ins Lot
bringen
Die Schuldenlast der Gemeinden hat sich allein in der bisherigen
Lebensspanne unserer Generation mehr als vervierfacht (1970:
39,9 Milliarden; 1995: 165,7 Milliarden), die der Länder
mehr als verachtzehnfacht (1970: 27,4 Milliarden; 1995: 503,3
Milliarden), und die des Bundes ist heute 15mal so hoch (47,8
zu 754,3 Milliarden). Und das Schuldenmachen geht munter weiter.
Seit Jahren weisen die Haushalte in schöner Regelmäßigkeit
den Posten Nettoneuverschuldung aus. Ehrlicher müßte
er heißen: "Was wir uns gar nicht leisten können".
Und das dicke Ende kommt erst noch. In der Nettoneuverschuldung
sind nämlich nicht die zukünftigen Pensionsberechtigung
der BeamtInnen enthalten, die auch nichts anderes sind als
ein Abwälzen der Belastungen auf kommende Generationen.
Beides zusammen wird die öffentlichen Haushalte in den
nächsten Jahren erdrücken. Wer diese Politik heute
damit rechtfertigt, daß sie notwendig sei, um politischen
Gestaltungsspielraum zu behalten, verkennt oder ignoriert
dabei, daß er den Knockout der Politik nur verschiebt
und verschärft, aber nicht behebt. Zur Teilhabe an der
Gesellschaft gehört es aber auch, die Gesellschaft gestalten
zu können.
Generationenvertrag oder Generationenverrat?
Umsteuern tut not. Das Ziel muß die schrittweise Rückführung
der Nettoneuverschuldung auf null sein. Solange dieses Ziel
noch nicht erreicht ist, fordern wir, daß die öffentlichen
Haushalte in verständlicher Form ausweisen, wofür
konkret die Neuverschuldung verwendet wird. Die Politik muß
sich wieder darüber klar werden, daß die Neuverschuldung
nicht als feste Größe im Haushalt angesehen werden
kann. Sie ist die Ausnahme und nicht die Regel. Durch einen
jährlichen Bericht soll dies immer wieder ins Bewußtsein
der PolitikerInnen gerufen werden. Sie werden dazu verpflichtet,
über die Belastung unserer Generation Rechenschaft abzulegen.
So läßt sich feststellen, ob es sich tatsächlich,
wie so oft behauptet wird, um einen Generationenvertrag (Investitionen
für die Zukunft) handelt oder um einen Generationenverrat
(Investitionen auf Kosten der Zukunft).
Steuererhöhungen als letztes Mittel
Die Lösung der Finanzkrise hat bisher eher rituellen
Charakter. Die einen wollen den "verfetteten Staat"
zum Teufel jagen. Die andern sagen, Geld sei genug da, man
müsse es nur bei den Reichen holen. Beide verschweigen
etwas. Das Fett des Staates besteht zu einem großen
Teil aus Dienstleistungen, die keiner missen möchte.
Polizei, Justiz und Bildung verursachen den größten
Teil der Personalausgaben; die Sozialausgaben garantieren
die Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft. Zugegeben,
es gibt Reformbedarf. Vieles läßt sich effektiver
und billiger machen. Am Ende der Reformmaßnahmen werden
aber wahrscheinlich die eingesparten Mittel geringer sein
als die jährliche Neuverschuldung. Die öffentlichen
Haushalte bleiben auch nach einer Verwaltungsreform defizitär,
wenn auch auf niedrigerem Niveau.
Die AnhängerInnen der anderen These kümmern sich
nicht so sehr um Verwaltungsreform. Sie glauben, einen anderen
Weg zur Deckung der Haushaltslöcher gefunden zu haben:
Die selbsternannten Robin Hoods wollen das Geld durch Steuererhöhungen
bei Besserverdienenden abgreifen. Nur sind die, wenn die Robin
Hoods zuschlagen, schon längst im Ausland. Steuererhöhungen
können nur das letzte Mittel sein, um das Defizit des
Staates auszugleichen. Vorher müssen Maßnahmen
ergriffen werden, die den öffentlichen Dienst und das
Steuersystem transparenter, leistungsfähiger und effektiver
machen. Bei der Steuererklärung darf der/die Ehrliche
nicht länger der/die Dumme sein. Schlupflöcher für
Besserverdienende müssen geschlossen und das Steuersystem
für jedeN verständlich werden. Wenn die Menschen
sehen, daß ihr Geld sinnvoll verwendet wird, werden
sie auch zu einem höheren Eigenbeitrag bereit sein -
vorher aber nicht.
Angestellte statt BeamtInnen
Besonderes Augenmerk ist bei der Sanierung der öffentlichen
Haushalte auf die Personalausgaben zu legen, die den größten
Teil verschlingen. Ein erster Schritt zu mehr Klarheit und
Wahrheit in den öffentlichen Haushalten wäre die
weitgehende Abschaffung des BeamtInnentums. BeamtIn muß
nur sein, wer wirklich hoheitliche Aufgaben erfüllt.
Dazu gehören Polizei, Berufssoldaten, Rechtspflege und
der diplomatische Dienst. Alle anderen Tätigkeiten (z.B.
Schule und Hochschule) können auch von Angestellten wahrgenommen
werden. Zwar kostet dies kurzfristig mehr, da die Rentenbeitragszahlungen
und weitere Lohnnebenkosten sofort und nicht erst Jahrzehnte
später anfallen, aber immerhin würde dadurch das
ganze Fiasko der derzeitigen Haushaltspolitik deutlich - und
es würde endlich der notwendige Handlungsdruck entstehen.
Außerdem kann sich der öffentliche Dienst durch
Angestellte aus den Verkrustungen des BeamtInnenrechts befreien.
Eine Möglichkeit, um bei Neueinstellung den Systemwechsel
vom BeamtInnen- in das Angestelltenverhältnis zu finanzieren,
ist der Zuschuß aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung.
Derzeit überweist der Bund jährlich über 70
Milliarden aus Steuermitteln an die Rentenkassen, um ihr Finanzierungsdefizit
auszugleichen. Wenn Neueinstellungen im öffentlichen
Dienst außer für hoheitliche Aufgaben im
Angestelltenverhältnis erfolgen, erhöht sich die Zahl der
BeitragszahlerInnen zur Rentenversicherung, ihr Defizit sinkt. Aufgrund dieses
Zusammenhangs sollte ein Teil des Bundeszuschusses zur Finanzierung
des Systemwechsels verwendet werden. Für jede Stelle,
die vom BeamtInnen- in das Angestelltenverhältnis überführt
wird, erhalten Bund, Länder und Kommunen aus diesen Mitteln
die dadurch anfallenden Rentenversicherungsbeiträge erstattet.
Für die Rentenversicherung macht es keinen Unterschied,
ob sie den Bundeszuschuß direkt oder mittelbar über
mehr BeitragszahlerInnen erhält. So wird der Systemwechsel
finanzierbar, das BeamtInnentum auf seine Kernbereiche reduziert,
die Zahl der BeitragszahlerInnen zur Rentenversicherung erhöht
und das Abwälzen der Pensionslasten auf nachfolgende
Generationen gestoppt.
5. Frauen und Männer
Noch nie hatten junge Männer und Frauen derart ähnliche
Perspektiven wie heute: Waren es früher nur die Frauen,
die mit einem von Unterbrechungen, mehreren Arbeitsplatzwechseln
und Umschulungen geprägten Erwerbsleben zurechtkommen
mußten, so zwingen die Veränderungen der Arbeitsgesellschaft
mittlerweile auch immer mehr Männern phasenweise Erwerbslosigkeit,
Flexibilität und Karrierebrüche auf.
Frauen als Motor für die Teilhabegesellschaft
Durch Teilzeitarbeit in großen Betrieben und der öffentlichen
Verwaltung wird die Arbeit auf mehr Menschen verteilt werden.
Eine neue Gründungswelle führt zu weiterer Beschäftigung.
Frauen sind für diesen Wandel der Arbeitswelt besser
gerüstet als Männer. Schon heute sind es überwiegend
Frauen, die Teilzeitjobs haben. Was für Männer eine
Umstellung sein wird, ist für Frauen schon lange Realität.
Auch bei Existenzgründungen zeigen Frauen wie es geht.
Ihr Weg in die Selbständigkeit ist bereits heute erfolgreicher
als der von Männern.
Ein Großteil der Gesellschaft hat sich vom Bild des
"Familienernährers" längst verabschiedet:
In den unteren Einkommensgruppen werden seit langem kaum mehr
Löhne gezahlt, die den Lebensunterhalt einer Familie
abdecken. Bei weiterer Arbeitszeitverkürzung in den großen
Betrieben und der öffentlichen Verwaltung wird diese
Entwicklung mehr und mehr auch die anderen Lohngruppen erreichen.
Die Härten, die hierdurch für Menschen entstehen,
die wegen der Erziehung von Kindern nicht erwerbstätig
sein können, müssen durch ausreichende Sozialtransfers
abfedert werden.
Und schließlich gibt es da nicht zu leugnende Ergebnisse
von 30 Jahren Frauenbewegung: Mögen junge Frauen den
Feminismus ihrer Mütter auch nicht mehr wie eine Monstranz
vor sich hertragen, so nehmen sie doch selbstverständlich
ihr Recht auf eine eigene Karriere und eine eigene Lebensplanung
in Anspruch. Männern muß klar sein: Die Teilhabe
von Frauen am Erwerbsleben setzt die Teilhabe von Männern
an Hausarbeit und Kindererziehung voraus. Dennoch hindern
etliche Hürden Frauen und Männer noch immer daran,
mit der Chancengleichheit endlich ernst zu machen: Frauen
sind trotz guter Ausbildung nach wie vor in den schlechter
bezahlten Jobs zu finden, und auch für Männer bedeuten
Familienphasen nicht selten das Karriereende. Die politischen
und rechtlichen Rahmenbedingungen gehen von der lebenslangen
Kleinfamilie und einer Form der Ehe aus, die in der Realität
schon seit längerem eher die Ausnahme ist. Allen, die
anders leben, darf die Teilhabe an der Gesellschaft nicht
länger durch bürokratische, steuerliche und soziale
Hindernisse erschwert werden. Die Chancen, die der Umbruch
in der Arbeitswelt für die Gleichberechtigung mit sich
bringt, müssen genutzt werden.
Taten statt hehrer Appelle
Den Frauenbeauftragten der Kommunen kommt bei der Teilhabe
von Frauen am Erwerbsleben eine Schlüsselfunktion zu.
In Zusammenarbeit mit den Unternehmen könnten sie konkrete
Konzepte und Hilfestellungen anbieten, um praxistaugliche
Teilzeitprogramme, Frauenförderung und flexible Arbeitszeitmodelle
zu entwickeln und umzusetzen. Die Beratung von Unternehmen
(Genderaudit) sorgt dafür, daß Frauenförderung
auch in der Wirtschaft kein hehrer Appell bleibt.
Für unsere Generation ist es selbstverständlich,
daß jeder Mensch eine individuelle Entscheidung über
seinen Lebensweg trifft. Geschlechtsspezifische Rollenmuster
spielen hierbei insbesondere für junge Frauen eine immer
geringere Rolle. Ziel ist eine Gesellschaft, in der Frau und
Mann nicht nur auf dem Papier gleichberechtigt sind, gesellschaftlichen
Ressourcen und Pflichten gleich verteilt werden und sich die
Menschen jenseits von Rollenklischees frei entfalten können.
Politische Veränderungen können dafür nur notwendige
Voraussetzungen schaffen, garantieren aber noch keine Gleichberechtigung.
Diese kann nur durch die Initiative einer jeden und eines
jeden einzelnen Wirklichkeit werden.
6. Umwelt
Öko ist out. Die Umfragen offenbaren schonungslos,
daß der überwiegende Teil der Bevölkerung
in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ökologische Fragen als
nachrangig betrachtet. Das Nichtstun der Bundesregierung in
diesem Bereich kann jetzt sogar in aller Ruhe fortgesetzt
werden, schließlich ist das Thema nicht mehr wahlentscheidend.
Öko ist out? Die Klimakonferenzen der UNO werden zeigen,
daß die Reduktion klimaschädlicher Gase nicht erreicht
wurde. Das Klassenziel Rio ist verfehlt. Die Erde wird sich
weiter erwärmen, lediglich das öffentliche Interesse
hat sich abgekühlt. Wachstumsregionen in vielen Teilen
der Erde folgen dem westlichen Modell. Sie werden nach unserem
Wohlstand streben und den ökologischen Kollaps dadurch
beschleunigen. Solange die Industriestaaten nicht konsequent
auf Nachhaltigkeit setzen, haben sie kein Recht, mit dem Finger
auf aufstrebende Staaten zu zeigen.
Öko ist out. Zentrale Felder des Umweltschutzes wurden
von den Grünen der 80er Jahre besetzt, in Forderungen
gekleidet, medienwirksam auf die Agenda gesetzt und schließlich
sogar von der Bundesregierung übernommen. Trotzdem geht
der Flächenverbrauch weiter, von einer ökologischen
Stoffwirtschaft sind wir weit entfernt, Arten und Bäume
sterben weiter. Mit Abfallpolitik, Immissionsschutz, Boden-
und Naturschutz ist inzwischen kein Blumentopf mehr zu gewinnen.
Öko ist out? Mitnichten. Alle Maßnahmen und Förderprogramme,
die es bisher in der Umweltpolitik gibt, sind gut, richtig
und wichtig, aber sie werden Stückwerk bleiben müssen,
wenn uns nicht durch eine ökologische Steuerreform ein
grundsätzlicher Wandel gelingt. Solange ökologisch
unsinniges Verhalten belohnt wird, wird es keine durchschlagende
Investition in eine umweltverträgliche Wirtschaftweise
geben.
Ökosteuer als Anreiz für die Wirtschaft
Deshalb ist die Ökosteuerreform so bedeutsam. Sie erhöht
die Kosten für den Verbrauch von natürlichen Ressourcen
und verwendet die Mittel, um die Kosten für den Faktor
Arbeit (und somit die Lohnnebenkosten) zu senken. Die Wirtschaft
hat einen Anreiz, von sich aus ökologisch sinnvoll zu
handeln. Ohne diese Reform wird es keinen wirklichen Fortschritt
in der Umweltpolitik geben. Selbstverpflichtungserklärungen
der Wirtschaft haben sich als ineffizient herausgestellt.
Die Ökosteuer fügt sich nahtlos in die Marktwirtschaft
ein. Anstatt die Folgen von Umweltverbrauch erst nach ihrem
Entstehen zu sanktionieren, sorgt die Ökosteuer dafür,
daß sich die Knappheit an natürlichen Ressourcen
von Anfang an in den Preisen widerspiegelt.
Schutz der Bevölkerung statt Interessen der Atomindustrie
Wenn die Preise für Produkte endlich die durch ihre
Produktion und ihren Verbrauch entstehende Umweltbelastung
widerspiegeln, löst sich auch ein weiteres Problem von
selbst: die Atomenergie. Wohin mit dem ganzen strahlenden
Schrott? Soll es in diesem Land üblich werden, jeden
Castortransport für zweistellige Millionenbeträge
durch die Republik prügeln zu lassen? Und wenn der Müll
endlich im Atommüllager angekommen ist, fangen die Probleme
erst richtig an. Noch immer gibt es kein Konzept, wo die strahlenden
Zukunftsaussichten unserer Generation sicher gelagert werden
sollen; auch hier geht die Rechnung wieder voll auf Kosten
der jungen Generation. Wir brauchen einen Energiekonsens,
der dem Schutz der Bevölkerung Vorrang vor den Interessen
der Atomindustrie einräumt. Ziel muß der schnellstmögliche
Ausstieg aus der Atomenergie sein.
Damit die Preise endlich die ökologische Wahrheit sagen,
müssen auch die Strommonopole aufgelöst werden.
Wenn Produktion und Netz voneinander getrennt sind, wird sich
automatisch ein Wettbewerb entwickeln, der die Dinosauriertechnologie
Atomkraft ins Museum befördert.
7. Wir sind Europa
Europa, das ist vor allem die große Idee des friedlichen
Zusammenlebens von Menschen verschiedener Nationen auf einem
Kontinent. Europa, das ist die Vielfalt von Menschen, Kulturen,
Lebensentwürfen. Europa, das ist mehr als ein gemeinsamer
Wirtschaftsraum, mehr als der Euro.
Europa ist mehr als der Euro
Europa, das ist für die Politik zur Zeit vor allem
der Streit um die erste Stelle nach dem Komma bei dem Euro-Kriterium
Neuverschuldung. Die Frage, ob die Neuverschuldung bei 3,0%,
3,2% oder gar 3,4% des Bruttoinlandsprodukt liegt, wird zur
Schicksalsfrage für die Zukunft Europas stilisiert. Und
das, obwohl Ökonomen sagen, daß die Angleichung
der Volkswirtschaften wichtiger sei, als die punktgenaue Erfüllung
von Prozentzahlen. Das Vertrauen der Bevölkerung wird
nicht durch die Nachkommastelle zerstört, sondern durch
die Debatte darüber. Wenn die Einführung einer gemeinsamen
Währung zum Spielball von Parteipolitik wird, bleibt
die Glaubwürdigkeit auf der Strecke. Der Euro wird 1999
kommen und mit ihm die Europäische Zentralbank.
Die Teilhabegesellschaft auch in Europa realisieren
Europa, das ist mehr als der Euro: Wir sind die erste Generation,
die in einem geeinten Europa leben könnte. Die Aussöhnung
mit unseren Nachbarländern, die Ostpolitik, und Glasnost
gehören zu den großen Erfolgen der europäischen
Nachkriegspolitik. Es muß keine Utopie bleiben, daß
sich junge Menschen aus allen europäischen Ländern
unvoreingenommen, ohne Visum und Grenzkontrollen begegnen
können. Das Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher
Nationalität ist für uns zur Selbstverständlichkeit
geworden. Dieses Lebensgefühl macht nicht Halt an den
Grenzen der europäischen Union. Die EU darf sich nicht
abschotten. Sie muß Kriterien für den Beitritt
weiterer Länder aufstellen.
Aber auch das Bewußtsein in den noch vorhandenen Nationalstaaten
muß sich ändern. Europa muß als Chance begriffen
werden und als Gewinn für die Staaten des entstehenden
"Hauses Europa". Wie die Deutsche Einheit ist Europa
kein Opfer, sondern eine Chance für uns, die Menschen
im Herzen Europas.
Staatsbürgerschaft als Schlüssel zur Teilhabe
Allen Menschen, die dauerhaft in der EU leben, sollte die
Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden - egal
welche Farbe ihr Paß hat. Gerade bei jungen Menschen
zeigt sich die Absurdität des geltenden Staatsbürgerschaftsrechts:
Es ist nicht einzusehen, warum in der Bundesrepublik geborene
und aufgewachsene TürkInnen oder AmerikanerInnen weniger
Rechte haben als deutsche EinwohnerInnen. Alle hier Geborenen
sollten das Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit
haben.
Demokratie braucht Transparenz
Um die Teilhabegesellschaft auch in Europa zu realisieren,
bedarf es auch in Brüssel und Straßburg einer neuen
Politik. Einer Politik, die das friedliche Zusammenleben von
Menschen verschiedener Nationen dauerhaft sichert und ihnen
die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Dazu gehören
einheitliche Sozial- und Umweltstandards und die Stärkung
des Europäischen Parlaments. Es kann nicht sein, daß
die BürgerInnen alle fünf Jahre ein Parlament wählen,
wichtige Entscheidungen aber an diesem vorbei vom Ministerrat
getroffen werden. Ein gestärktes Parlament muß
dafür sorgen, daß über europäische Themen
öffentlich und für die Bevölkerung nachvollziehbar
diskutiert wird. Eine europäische Regierung, die wie
bisher hinter verschlossenen Türen tagt, hemmt die Entwicklung
einer europäischen Identität.
Die Krise als Chance begreifen
Europa, das ist auch die Konkurrenz zu den Wachstumsregionen
Südostasiens, zu Indien, China und Nordamerika. Dort
blickt man zunehmend mitleidig auf den alternden Kontinent
Europa. Europa gilt als Verlierer der Entwicklungen der nächsten
50 Jahre. Es gilt, diese Krise als Chance zu begreifen; Europa
darf sich nicht auf ein Hase-und-Igel-Spiel einlassen. Der
Wettlauf um niedrigere Löhne, Umweltstandards und Sozialleistungen
ist nicht zu gewinnen. Vielmehr muß sich Europa auf
seine Stärken konzentrieren und Vorreiter auf den Zukunftsmärkten
Ökologie und Informationstechnologie werden. Doch auch
hier droht Europa den Anschluß zu verlieren. Wir dürfen
nicht weiterhin nur über Zukunftsmärkte reden, wir
müssen sie erschließen.
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